Wie dieses Osterfest wohl werden wird? Nun, es wird wohl – wie in jedem Jahr – nicht zuletzt am Wetter liegen. Das Osterfest als Fest des neuen Lebens ist immer schon auch ein Frühlingsfest. Es fühlt sich richtig an, dass wir Ostern nicht im Herbst, auch nicht im Sommer und schon gar nicht im Winter feiern. Zu Weihnachten ist die Rede davon, dass Gott sein Himmelreich aufschließt, zu Ostern aber öffnet er die Türen des Totenreichs.
Auch wenn wir gerade nur eingeschränkt aus dem Haus gehen sollen, heben nicht wenige hervor, wie gut es doch ist, dass die Tage jetzt seit dem Ausbruch des Coronavirus nicht dunkler, kürzer und kälter werden, sondern heller, länger und wärmer. So tut es uns allen gut, wenn wir wenigstens bei unseren Spaziergängen in der aufblühenden Natur oder am Gartenzaun einander sehen und mitbekommen, dass es den Nachbarn, die Bekannten und Verwandten tatsächlich noch gibt und nicht nur eine Stimme am Telefon oder ein Gesicht auf dem Bildschirm.
Führen wir Jüngeren und Gesunden uns unsere Möglichkeiten vor Augen, wird uns erst richtig bewusst, wie anders die Situation für die Älteren und Kranken ist, die aus Vorkehrung oder Vorschrift gegenwärtig in ihren Häusern und Pflegeheimen bleiben müssen. In den allermeisten Familien gibt es hier im Moment quasi Anschauungsunterricht umsonst. Vielleicht wird uns in diesen Wochen auch bewusster, warum die vorangegangenen Generationen nach dem Schlüssel zum Leben nicht nur und vor allem nicht zuerst bei sich selbst gesucht haben. So verfügbar wie wir es bis vor Kurzem gewohnt waren, ist unser Wohlstand nicht, unsere Fitness, unsere Kreuzfahrten und Urlaubsflüge. Wenn wir in die Kriegsgebiete, Flüchtlingscamps, Elendsviertel, aber auch mit offenen Augen in unsere diakonischen Einrichtungen blicken, sehen wir etwa, was es selbst in Deutschand bedeutet, wenn plötzlich viele Tafel-Läden schließen müssen und die übriggebliebenen nicht mehr richtig beliefert werden. Da tritt in den vergangenen Wochen immer mehr zu Tage, was alles zur kritischen Infrastruktur in unserem Lande zählt – auch, in welch kritischem Zustand teilweise diese kritische Infrastruktur ist – und wie schnell es kritisch werden kann, wenn wir plötzlich mit einer Situation konfrontiert werden, die die wenigsten von uns auf der Rechnung hatten. Vielleicht haben wir doch auch manche Rechnung ohne den Wirt gemacht?
Der Karfreitag zählt deshalb zu den höchsten christlichen Feiertagen, die wir kennen, weil Gott an diesem Tag zwei Striche durch diese kritische Welt zieht: einen von links nach rechts und einen von unten nach oben. Im Kreuz, im Leiden und Sterben Jesu ist der Gang der Welt und wie sie sich selbst zugrunderichtet unmittelbar vor unseren Augen. Menschengemachtes Leid, menschengemachtes Sterben, zugleich aber auch erlittenes Leid und erlittener Tod. Zum Himmel schreiendes Unrecht. Wie viele Dia-Magazine könnten wir mit solchen Bildern füllen? Und dann geht es hinab in die Erde, in die Gruft, in die Unter- und Totenwelt. Doch dann am Ende des Magazins steht ein Dia quer. Es passt nicht und es malt die Welt in den Farben des Frühlings, als sei es aus einem anderen Magazin dort hineingerutscht. Der Auferstandene tritt ins Bild und setzt alles in ein anderes Licht.
„Christus spricht: Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ Hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten.
Das Heil dieser Welt lässt sich eben überhaupt nicht einfach herstellen. Wir sehen das bei der händeringenden Suche nach einem Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus. Er ist halt einfach noch nicht da. Und wenn er denn da ist, wird das noch längst nicht das letzte Wort in dieser Sache für uns Menschen sein. Für unser Leben entscheidend ist, einen Schlüssel zum Leben in der Hand zu haben, auch wenn wir uns noch länger einschränken müssen oder Ausgehverbot erhalten. Von Karfreitag zum Ostermorgen hat Gott mit uns einen Bund des Lebens aufgerichtet und sich uns selbst als Bruder zur Seite gestellt: Jesus Christus, der Lebendige und Auferstandene. Er begegnet den Zeugen der Auferstehung vor 2.000 Jahren im Garten (Maria Magdalena), auf dem Weg (den Jüngern von Emmaus), im Haus (dem ungläubigen Thomas) und bei der Arbeit (den Jüngern beim Fischen) – überall dort, wo Stärkung für das Leben nötig ist. Deshalb: Viele andere Schlüssel mögen in der derzeitigen Situation nicht passen, der Generalschlüssel unseres österlichen Glaubens, der neues Leben überall dort sieht, wo eben noch Dunkelheit, Angst und Sorge und Unglaube waren, passt auch 2020 besser als jeder andere.
Ein gesegnetes und hoffentlich gesundes Ostern
wünscht Ihnen Pfarrer Klemens Dittberner