„Jetzt ist es endlich soweit!“ Mit diesem Gefühl reagierte vor 2.000 Jahren eine größere Menschengruppe in Jerusalem auf die Nachricht, dass die Ankunft Jesu zum Passafest unmittelbar bevorstehe. Voller Erwartung ziehen diese Menschen Jesus mit Palmzweigen entgegen und bereiten ihm einen königlichen Empfang: „Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn“, rufen sie. Und zuallererst: „Hosianna!“ „Hilf doch!“ Sie rufen nicht nur, sie schreien es heraus. Sie sehnen sich nach einer Veränderung. Es drückt sie an allen Ecken und Enden. Sie fühlen sich als Teil eines Zirkus, den die römische Staatsmacht veranstaltet, der über all ihre Gewohnheiten und Nöte die Glocke der Obrigkeit und Kaiserverehrung stülpt. Ohnmächtig und an ihren Nöten leidend versprechen sie sich von Jesus ein anderes Leben: näher an dem, was sie brauchen, mit jemandem, der sich ihnen zuwendet.
Und was folgt? Werden ihre Hilferufe gehört? Oder verhallen sie und enden – wie Jesus selbst – am Kreuz? In eigentümlicher Weise bereiten die Worte des Wochenspruchs zum Palmsonntag auf das Geschehen vor, von dem wir schon wissen, das den Menschen damals aber erst noch bevorstand: „Der Menschensohn muss erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“ (Johannes 3,14b+15)
Die Träume der Menschen, dass in ihrer Welt alles besser und anders wird, werden enttäuscht. Aber ihre Hilferufe, dass es etwas geben möge, was über ihre Welt hinaus ein Weg zum Leben weist, werden von Gott gehört.
„In der Welt habt ihr Angst“, sagt Jesus in seinen Abschiedsreden zu den Jüngern und spricht damit ein menschliches Gefühl an, das über die letzten 2.000 Jahre, seitdem Jesus gelebt hat, nicht verschwunden ist: die Angst. – Wem könnte nicht angst und bange werden, wenn er unter der Woche die Zahl der Menschen in Deutschland vernommen hat, für die ihre Arbeitgeber im Zuge der Corona-Pandemie im März Kurzarbeit beantragt haben: 470.000 binnen eines Monats, mehr als zu Zeiten der Finanzkrise. Da sind die Probleme der Selbständigen und Kleinstunternehmer noch gar nicht eingerechnet. Da ist das alles nicht eingerechnet, was man noch unter der Lupe in unseren Häusern und Wohnungen entdecken könnte. Und wie hilflos fühlen sich in diesen Tagen die Menschen, deren Verwandte im Pflegeheim oder Krankenhaus sind – und sie können sie nicht besuchen?
„In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden!“ Diesen Satz gibt Jesus den Jüngern deswegen mit auf den Weg, auf dem sie Zeugen und Mitleidende seiner Passion werden. Das heißt: „Vielmehr als in eurer Welt liegt meine Antwort auf eure Lebensängste und Sorgen außerhalb ihrer Reichweite.“ Also – gerade in Zeiten von Corona – mehr Fernglas als Lupe, mehr Weitherzigkeit als Engstirnigkeit, weniger Verzagtheit als vielmehr Hoffnung, Leben eröffnen, nicht Tod erleiden, damit wir unsere Welt – ein Stückweit wenigstens – überwinden können. Die Zeichen der Solidarität, die wir an allen Orten in unserem Land in diesem Frühjahr beobachten können, machen Mut für ein Leben nach Corona oder auch mit Corona. Denn mit unserem unvermeidlichen Tod müssen wir genauso weiterleben wie Jesu Anhänger vor 2.000 Jahren, die durchlitten haben, von dem wir wissen, dass es gut ausgeht. Ostern, die Geburt von neuem Leben – bald ist es endlich soweit.
Einen gesegneten Palmsonntag! Pfr. Klemens Dittberner